by Constanze Musterer
Alexei Kostroma analysiert ironisch, kritisch und philosophisch die Analogien von Kreisläufen, wie sie im menschlichen Handeln, in Gesellschaftsstrukturen, der Welt als Ganzes und der Natur in Erscheinung treten. In der Ausstellung Time of Piggy schafft er mit Malerei, Objekten und Zeichnungen in Manier eines Gesamtkunstwerks unterschiedliche Zugänge und gegenseitige Bezüge zu den globalen Begriffen von Zeit und Geld sowie deren Rückwirkungen auf das Individuum. Seine künstlerischen Arbeiten basieren auf seiner Philosophie von komplexen Systemen und einer organischen Weltanschauung, in denen Zeit, Logik und Chaos die tragenden Säulen bilden. Resultierend hieraus verwendet er besondere natürliche Materialien wie Federn, Eierschalen und das Zitronengelb-Pigment sowie eigene Ziffernsysteme in seinen künstlerischen Arbeiten.
Zeit und Geld sind systematisierte Kreisläufe. Die Zeit ist dabei ein Konstrukt, die Gesetze der Natur für den Menschen handhabbar zu machen, während Geld die Gesetze für ein gesellschaftliches Miteinander konstruiert. Die Simplizität des Ausspruchs “Time is money“ beschreibt das komplexe System von Gewinn, Verlust und Effizienz des Geldes in Relation zur Zeit und impliziert genauso selbstverständlich die differenzierte Messbarkeit von festgelegten Maßeinheiten. Diese Konstrukte und ihre Relationen zeugen von einer anhaltenden weltweiten Übereinstimmung und Übernahme in alle Kulturen. Schon im 14. Jahrhundert galt die Zeitverschwendung als Sünde.
Zahlen und Summen sind wiederkehrende Motive in der Kunst von Alexei Kostroma, mit denen er die Beziehung des Individuums zum geltenden finanziellen Kreislauf untersucht. So formieren sich etwa dicke Farbwürste zu Rechnungsbeträgen in den Bildern der Serie „Bills and Debts“. Übermaß oder notdürftiges Limit, die Additionen führen unweigerlich zu der Frage, was aus der piggybank für das Leben im kommenden Monat übrigbleibt. In der großformatigen Malerei „Membrane“ hingegen konkurrieren lange Zahlenkolonnen mit gegenstandslosen Farbverläufen auf geometrischen Strukturen. Emotionen und Fakten, Individuelle Belange und universelle Systeme stehen hier im Kontrast und schließen sich doch zu einer Einheit zusammen. Je nach Licht verändert sich der Inhalt des Bildes, wodurch Tag- und Nachtleben, Licht und Schattenseiten evoziert werden – Gegensätze, die doch immer in Wechselwirkung miteinander sind und ohne die kein Leben, kein Kreislauf existieren würde. Mit diesen scheinbaren Kontrasten spielt auch das gelbe Quadrat auf schwarzem Chaosgrund „Yellow in Black#1“, das zudem ironisch auf Festschreibungen in der Kunstgeschichte verweist. Der Kreislauf individuellen künstlerischen Schaffens endet schließlich in der immanenten Ambivalenz der Kunst, zum einen Kulturgut, zum anderen Marktprodukt zu sein. Eine Reductio ad absurdum für jegliche Berechnung und doch die Zeitrechnung eines drohenden Zerfalls ist das Bild „Luxury“. Das Wort ist gleich den Zahlenkolonnen angeordnet und in das zitronengelbe Pigment, geschrieben, das jedoch trotz der geballten Energie unter den Buchstaben wie ausgetrocknete Erde aufbricht.
Edel und schön wirken hierzu die Objekte aus angeordneten Eierschalen „Nano 547“ und „Nano 100“, deren perlmutternen Innenflächen die fluoreszierenden Ziffern eins bis neun erkennen lassen. Innere Codes, die keinen Stillstand zulassen, denn die Null, der Stillstand also, fehlt. Das Ei als Symbol für den Kreislauf und Schutz des Lebens, verweist in dieser seriellen Anordnung der Schalen zudem auf die Individualität in der Masse. Faszinierende Ästhetik als Blendwerk für eine Laudatio des Unterschieds im immer wieder gleichen System. Eleganz vermittelt sich zunächst ebenso in den mit Federn umrahmten Gemälde-Collagen „Thirteen“ und „Eggo“. Sie scheinen eine persönliche Inventarisierung, ein Tagebuch der Formen zu sein. Federn und das dominante Weiß schaffen eine geistige Aura, die jedoch durch grob herunterlaufende Farbe aus dem Bildinnern durchbrochen wird und klar den Gegenwartsbezug wieder herstellt. Der Kontrast eines scheinbar chaotischen Äußeren und wohl strukturierten Inneren löst sich in der Betrachtung der einzelnen Feder auf, denn sie trägt bereits beide Strukturen in sich: Aus den wild wirbelnden Daunen entwickelt sich nach oben am Schaft die strukturierte Federfahne.
Einen Zirkelschluss bildet die Ziffernmalerei von Alexei Kostroma, für die er ein eigenes Farbschema entwickelt hat, d.h. Farben des Farbspektrums werden die Ziffern eins bis neun zugeordnet. Insekten, die als Kleinstlebewesen kaum wahrgenommen werden, setzt er immens groß auf die Wand. Die Ästhetik bunt schillernder Farben von Käfern und Schmetterlingen dient der Verständigung der Insekten untereinander. Dieses Faszinosum überträgt Alexei Kostroma in seine eigene Ziffernsprache und sucht es zu entschlüsseln. Was von weitem wie samtene Oberflächen wirkt ist in Wirklichkeit ein durchstrukturiertes, komplexes System.
©Constanze Musterer